In seinem Artikel Datenschutz als Verhinderungswaffe – Der Fortschritt und seine Feinde hat Sascha Lobo eine Diskussion zwischen Datenschutz-Befürwortern und Datenschutz-Gegnern losgetreten. Allein auf seinen Spiegel-Artikel hat er bis heute, 12. September 2022, 17:00 Uhr 619 Kommentare erhalten.
Thilo Weichert, ehemaliger Landesbeauftragter für Datenschutz von Schleswig-Holstein, der von Sascha Lobo als Negativbeispiel herangezogen wurde, veröffentlichte über netzpolitik.org den Gastbeitrag Replik auf Sascha Lobo: Datenschutz ist unentbehrlich.
Nima Oshnooei, Volljurist und Autor bei Dr. Datenschutz, kommentiert in seinem Artikel Lobo und der Datenschutzschuldfetisch.
Worum geht’s im Spiegel-Artikel?
Sascha Lobo hat sich seinen Frust von der Seele geschrieben. So scheint es. Es geht um die ehemalige Idee des Datenschutzes („informationelle Selbstbestimmung“) gegen den „real existierenden Datenschutz„.
Datenschützer, die zu „fundamentalistischen Neinsagern“ verkommen sind. Dem Datenschutz, den viele anders deuten und der es einem schwer macht, zu verstehen, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Besonders wenn „Sachverhalte von unterschiedlichen Fachleuten derart unterschiedlich interpretiert wird“. Es wird das E-Rezept Fiasko angesprochen, ein Beispiel für ein Projekt unter vielen, welches wohl durch den Datenschutz auf Eis gelegt worden sei, „zwei Wochen vor dem Start“.
Ein weiteres Beispiel, das Sascha Lobo nennt, ist der Datenschutz an Schulen: pandemiebedingt wurden anfangs datenschutzunfreundlichere Videokonferenzsysteme wie Microsoft Teams geduldet, sollten dann im Sommer 2021 durch ein landeseigene Videokonferenzsystem (bezieht sich auf Hessen) ersetzt werden. Was bisher aber noch nicht umgesetzt werden konnte.
Sascha Lobo schlussfolgert: „Datenschutz ist deshalb in Deutschland nicht nur das größte digitale Verhinderungsinstrument, sondern zugleich auch der größte digitale Sündenbock.„
Die Schuld für das beschriebene hat für Sascha Lobo u.a. eine „einflussreiche Strömung des Datenschutz“ aus Richtung Schleswig-Holstein. Insbesondere der ehemalige Landesbeauftragte für Datenschutz, Thilo Weichert.
Auch regt ihn die gefühlte Bevormundung auf: „Datenschutzregeln, die man selbst auf Wunsch der unmittelbar Betroffenen faktisch nicht aushebeln kann„.
Thilo Weichert meldet sich über einen Beitrag auf netpolitik.org zu Wort
In seiner Antwort auf Sascha Lobos Äußerungen beginnt Thilo Weichert mit den Zielen des ULD (dem unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz), das Sascha Lobo als „einflussreiche Strömung aus Schleswig-Holstein“ bezeichnet: „Digitalisierung grundrechtskonform zu gestalten, Missstände aufzudecken und zu bekämpfen sowie datenschutzfreundliche Technik zu etablieren.“
Dabei gehe es nicht „gegen Symptome von Fehlentwicklungen vorzugehen, sondern gegen deren Ursachen„, wie das „illegale Geschäftsmodell von Facebook. Das ULD bekam dafür nach 11 Jahren vom Europäischen Gerichtshof (EugH) Recht, ohne dass Facebook bis heute seine illegale Praxis geändert hätte.„
Er kritisiert Sascha Lobo für seine Ignoranz gegenüber den großen sozialen Medien, „inwieweit die sogenannten sozialen Medien nicht nur die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen, sondern auch den demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft untergraben.„
Die Rückschläge bei der Umsetzung der Digitalisierung sieht Thilo Weichert, einerseits in den wirtschaftlichen Interessen und bürokratischer Inkompetenz, andererseits der Tatsache, dass Datenschutz nicht von Anfang an mitgedacht wurde.
Die zentrale Herausforderung sieht Thilo Weichert in der „globalen Auseinandersetzung mit dem Überwachungsstaat à la China und dem Überwachungskapitalismus à la USA in Europa eine grundrechtsfreundliche Alternative zu entwickeln“.
Nima Oshnooei teilt seine Meinung in einem Artikel auf Dr. Datenschutz
„Welchen Sinn hat es über den Datenschutz zu diskutieren, ein mögliches Problem, dass am Ende einer Kette von Problemen bei der Digitalisierung steht.“ – so startet sein Kommentar auf Sascha Lobos Äußerungen.
Er sieht die Probleme der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten an anderer Stelle – 3 Gründe für das Scheitern:
- Private und öffentliche Investitionen. „Die Investitionstätigkeit im Euro-Raum ist von ca. 26% (im Jahre 2000) auf ca. 17% (im Jahr 2019) gefallen.“
- Fehlende Management-Tools und Automatisierung. „Die fehlenden Investitionen der Vergangenheit führen zu der mangelhaften Lage in der Digitalisierung und damit einhergehend zu den Umsetzungsdefiziten des Datenschutzrechts.“
- Stilblüten und Überinterpretation. „Eine gedankenlose Anwendung der DSGVO außerhalb ihres Kontextes führt zu Überinterpretationen und kuriosen Stilblüten. So führen diese Überinterpretationen zu vollkommen überzogenen Anforderungen.“
Oshnooei schlussfolgert: „Nein. Die Digitalisierung scheitert nicht am Datenschutz, sondern zuvörderst am MINT-Fachkräftemangel, am Investitionsstau im privaten, sowie im öffentlichen Sektor und damit einhergehend an nicht performanten IT-Infrastrukturen.“
Und das meine ich
Aua. Das tut weh.
Sascha Lobo pikst gekonnt mit seinem Finger in einer altbekannten Wunde herum.
Das ist ok, auch wenn vieles falsch erscheint, es regt Diskussionen an.
Ja, viele schlaue Menschen sagen unterschiedliche Sachen zum gleichen Sachverhalt. Dazu äußern sich Unternehmen zum Datenschutz ihrer Tools und Online-Dienste, Konsumenten & Nutzer vertrauen darauf. Vieles stimmt aber nicht. Nur die wenigstens wissen wirklich, was Sache ist. Das nervt.
„Online Geld verdienen? Wer macht denn so was?“ hatte einer meiner Datenschutz-Dozenten einmal rhetorisch in den Raum gestellt. Ähnliches hat Sascha Lobo erlebt und in seinem Artikel angesprochen. Muss man im Internet wirklich Geld verdienen? Solche Aussagen sind für mich unwirklich und weltfremd. Natürlich geht das online. Viele Existenzen hängen davon ab, online Umsatz zu generieren. Gefühlt geht heutzutage nichts mehr ohne das Internet.
Facebook Ads, Google Ads, Affiliate-Marketing, Social-Media-Marketing, Community Building, E-Mail-Marketing, Content-Marketing, Suchmaschinenoptimierung, Online-Events. All das gehört dazu, um Kunden online zu finden, Beziehungen aufzubauen und Beziehungen aufrechtzuerhalten.
Die Frage ist nur, wie können wir die ganzen Instrumente datenschutzfreundlich einsetzen?
Wie geht das mit Datenschutz?
Vielen Solo-Selbstständigen und kleinen Unternehmen ist nicht klar, was sie alles beachten müssen. Und wenn doch, ist das Einarbeiten in die datenschutzrechtlichen Anforderungen und diese dann auch noch umzusetzen, eine gewaltige Herausforderung.
Die Aufsichtsbehörden legen sich seit geraumer Zeit hierfür mächtig ins Zeug. Auf ihren Webseiten haben sie eine Fülle an Muster, Orientierungshilfen und Frage-und-Antworte-Sammlungen veröffentlicht. Bieten kostenfreie Schulungen an, haben ihren eigenen Podcast, indem sie in einfacher Sprache Datenschutz verständlich machen. Ein prima Beispiel ist die Aufsichtsbehörde für Datenschutz in Baden-Württemberg. In diesem Artikel stelle ich die Aufsichtsbehörde vor.
Ja, die Umsetzung der DSGVO ist alles andere als einfach. Sich an Steuergesetze zu halten, seine Buchhaltung ordentlich zu führen, übrigens auch nicht. Die vorhandenen Hilfen, die es mittlerweile online gibt, unterstützen Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen. Sie müssen nur wissen, wo sie diese finden können.
Wozu der ganze Ärger mit dem Datenschutz?
Der von Thilo Weichert beschriebene Überwachungsstaat à la China oder der Überwachungskapitalismus à la USA ist eine der Gründe sich über den Datenschutz Gedanken zu machen und vor allem in die Umsetzung zu kommen.
Vieles, was passieren kann, wenn unsere Daten durch eine Datenpanne geleakt wurden, oder gesammelt in einem umfangreichen digitalen Profil über uns, um uns in eine bestimmte Richtung zu nudgen, ist für viele nicht greifbar. Noch nicht jedenfalls. Das Internet ist riesig und die bisher vorhandenen Daten über uns helfen Unternehmen (und öffentlichen Bereichen), uns besser zu kennen, als unsere eigenen Partner.
Abschließen möchte ich mit einem Kommentar des Spiegel-Artikels, der ungefähr so ging: „Datenschutz ist vergleichbar mit Klimaschutz. Der Schaden des Nichtstuns ist erst sichtbar, wenn es zu spät ist.“